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Das Grundgesetz als Magazin

Perfektes Timing: Das Grundgesetz als Magazin erscheint pünktlich zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes.

In bester Verfassung – eine Erfolgsgeschichte neu verpackt

10 Euro fürs Grundgesetz werden manche sagen: Das gibts doch gratis bei der Bundeszentrale für politische Bildung! Aber ich behaupte, diese Anschaffung lohnt sich. Was der Journalist Oliver Wurm und der Designer Andreas Volleritsch mit ihrem Know-how als Medienmacher hier vorlegen, verschafft dem Verfassungstext einen beeindruckenden Auftritt. [von Florian Wagner]

Das Grundgesetz als Lesevergnügen

Die meisten von uns denken beim Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich an eine nüchterne, gleichförmige Bleiwüste – an einen Gesetzestext, hartes Brot. Aber versierte Medienmacher wissen es längst. Selbst der beste und wichtigste Text wird widerwillig oder gar nicht gelesen, macht man es seinen Lesern schwer.

Diese alte Weisheit nehmen sich die beiden Medienmacher glücklicherweise zu Herzen. Oliver Wurm und Andreas Volleritsch übersetzten bereits 2009 ein schwieriges Thema erfolgreich ins Magazinformat. Damals wagten sie sich an eine Version des Neuen Testaments. Und diese Erfahrung kommt ihnen beim Grundgesetz-Projekt sicher zugute.

Das Magazin erweckt die Kraft der klaren und klugen Zeilen zum Leben. Dabei lässt es nichts weg und fügt dem Text nichts hinzu – 146 Artikel auf 124 Seiten, Verfassung pur. Das Medium verleiht den Worten eine würdige Form und eine beeindruckende Wirkung. Ich habe unser Grundgesetz dank der gekonnten Aufmachung neu erlebt.

Sympathisch und schlau: Um das Projekt zu finanzieren, gewannen Wurm und Volleritsch 70 ausgewählte Unternehmen, die einen Teil der Auflage ankauften. Auf diese Weise kann das Blatt auf klassische Anzeigen verzichten.

Zentrale Aussagen plakativ inszeniert: Die Grundrechte sind das grafische Highlight des Magazins.

Gekonnte Inszenierung

Bereits der erste Eindruck überzeugt. Das Cover wirkt modern und kraftvoll. Und die Verarbeitung unterstützt das Gefühl, ein hochwertiges Produkt in den Händen zu halten. Das Papier war sicher nicht billig und das Buchbinderhandwerk zeigt sich von seiner besten Seite.

Aber das Wichtigste – form follows function: Die Gestaltung setzt die Inhalte des Grundgesetzes hervorragend in Szene und der Einsatz der Typografie ist ebenso originell wie zweckmäßig. Die Leser können sich über eine sinnvolle Blickführung mit vielen Einstiegspunkten freuen. Lebendige im Wechsel mit ruhigen Layouts geben dem Blatt einen spannenden Rhythmus und verschaffen jedem Artikel einen individuellen Auftritt. Ein umfangreicher Teil mit sehr guten Infografiken und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte bilden den Abschluss des Magazins.

Das Farbkonzept spielt mit den drei Farben der Bundesrepublik. Dazu kommen zwei Komplementärfarben, immer wieder kombiniert mit großzügigem Weißraum.

Aus eigener gestalterischer Erfahrung würde ich behaupten: Teile des Grundgesetzes, wie beispielsweise die 19 Artikel zu den Grundrechten, waren eine wunderbare Steilvorlage für den Designer Andreas Volleritsch. Eher abstrakte und sperrige Passagen – wie weite Teile des Staatsorganisationsrechts – zeigen deutlich, dass auch versierte Medienmacher nicht zaubern können. Aber das tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch. Diese schwierigen Inhalte wurden handwerklich sauber, sprich gut lesbar, aufbereitet. Insgesamt also eine großartige Verpackung für einen anspruchsvollen Inhalt.

Das Bildkonzept

Die Blattmacher entschieden sich gegen eine konventionelle, konkrete Illustration der Inhalte. Stattdessen fiel die Wahl auf eine assoziative Bildsprache mit Aufnahmen von Deutschland und Europa aus der Erdumlaufbahn. Die Fotos stammen alle von Alexander Gerst, unserem Mann auf der ISS. Manche werden das wahrscheinlich in Stammtischmanier kommentieren: „Die da oben, wir da unten.“ Aber ich verbinde diese Perspektive mit einem Blick fürs große Ganze ohne dabei Details und Zusammenhänge außer Acht zu lassen. Und genau das charakterisiert für mich das Grundgesetz sehr treffend. Mal abgesehen von subjektiven Deutungen, ist der Bezug zu „Astro-Alex“ sicherlich ein geschickter Marketing-Coup.

Metaebene: Die Bilder von Alexander Gerst, aufgenommen aus der internationalen Raumstation ISS, ziehen sich als Roter Faden durch „Das Grundgesetz als Magazin“.

Fazit

Pünktlich zum anstehenden 70. Geburtstag des Grundgesetzes feiert das Magazin diesen zentralen Text und lenkt den Blick auf seine zeitlosen Werte. Wenn ich mich gerade im Geltungsbereich des Grundgesetzes umschaue, empfinde ich das Magazinprojekt als wichtiges Signal. Wir leben in Zeiten, in denen sich Menschen mit Ideologien aus der Deckung wagen, die diese Werte bedrohen. Also ein würdiges und längst überfälliges Geschenk – für die Verfassung und für alle, die mit ihr Leben dürfen. Herzlichen Glückwunsch!


Das Grundgesetz als Magazin

Verlag: Wurm & Volleritsch GbR
Idee & Redaktion: Oliver Wurm
Design: Andreas Volleritsch
Umfang: 124 Seiten
Startauflage: 100.000 Exemplare
Erhältlich am Kiosk (am besten an Bahnhöfen und Flughäfen) und unter dasgrundgesetz.de


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