Contentstrategie versus Unternehmensstruktur

 
Positives Markenerlebnis: Kunden erwarten Kommunikation zur richtigen Zeit, über den gewünschten Kanal und mit maßgeschneiderten Inhalten.

Positives Markenerlebnis: Kunden erwarten Kommunikation zur richtigen Zeit, über den gewünschten Kanal und mit maßgeschneiderten Inhalten.

Mission possible?

Kundenperspektive, Content Marketing, Content first, Storytelling, Network Thinking, agiles Arbeiten, Prototyping, Fehlerkultur: Alle reden davon und viele nicken zustimmend. Aber die Content-Welt sieht häufig anders aus. Nämlich dann, wenn es gilt, diese Schlagworte in die Praxis zu überführen. Das durfte ich gerade wieder einmal sehr anschaulich erleben. [von Florian Wagner]

Die Ausgangssituation

Kürzlich unterstützte ich einen meiner Auftraggeber bei einem Beratungsprojekt für ein international tätiges Unternehmen, das höher- bis hochpreisige Konsumgüter produziert. Der Auftrag bestand aus einem Experten-Audit, das konkrete, praxistaugliche Empfehlungen liefern sollte. Im Anschluss wollte der Kunde in der Lage sein, einfache Hinweise direkt umzusetzen und aufwendigere Maßnahmen konkret anzustoßen. Ich möchte meine dabei gewonnenen Eindrücke teilen, weil der Fall etwas prototypisch illustriert: Und zwar, welche Faktoren einer – aus Kundensicht gedachten – Contentstrategie oft im Wege stehen.

Der besagte Kunde war auf der Suche nach neuen Ansätzen für die Optimierung seiner CRM-Aktivitäten – on- und offline. Viele der verfolgten Einzelmaßnahmen griffen. Sie erzielten durchaus positive Resultate, die allerdings schon seit einiger Zeit auf relativ hohem Niveau stagnierten. Es gelang also nicht KPIs wie Dialog, Leads und andere Formen des Engagements oder der Konversion weiter signifikant zu verbessern. Außerdem stießen die Mitarbeiter immer wieder auf die gleichen Hindernisse und Probleme – insbesondere beim internen Austausch und der Zusammenarbeit. So etwas birgt ein hohes Frustrationspotenzial.

Der Workshop

Das Projekt startete mit einem Ganztages-Workshop, der dem Kunden und uns zahlreiche wertvolle Erkenntnisse lieferte. Das gesamte CRM-Programm funktionierte zunächst einmal stark Produkt- und Launch-getrieben. Wenig überraschend: Eine Kommunikation, die von individuellen Kundenbedürfnissen ausgeht, fand noch zu wenig statt.

Jeder Mitarbeiter fühlte sich von ambitionierten Zielvorgaben getrieben. Das führte zu meist schnell und wenig präzise realisierten Maßnahmen. Zusätzlich gab es weder ein klar formuliertes Regelwerk noch einen Modulbaukasten. Ein strenger Kriterienkatalog würde die Beurteilung der von den Agenturpartnern gelieferten Inhalte und Medien erleichtern. Ein modulares System könnte die Verantwortlichen bei der qualitätsvollen und dennoch zügigen Erstellung der Maßnahmen unterstützen.

Stattdessen existierten deutlich ausgeprägte Silostrukturen. Eine Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen für die diversen Maßnahmen und Touchpoints stand nicht auf der Agenda. Dieses Einzelkämpfertum erzeugte eine Situation, in der niemand das ganze Bild sah. Keiner konnte beurteilen, wie die Kunden die Summe der Ansprachen erlebten. Obendrein lagen keine ausgearbeiteten Customer Journeys vor, die bei der Planung helfen könnten.

Dementsprechend waren auch die Briefings für die ausführenden Agenturen von den erwähnten Silostrukturen und einer starken Innensicht geprägt. Auf diese Weise konnten die diversen Maßnahmen bei Kunden und Interessenten keinen stimmigen Eindruck erzeugen. Die mangelnde Vernetzung der verschiedenen Touchpoints und eine unscharfe Ausrichtung mündeten in eine Kommunikation, die den Adressaten zu viel Motivation und Bereitschaft zur Transferleistung abverlangte.

„Letztendlich – und erstaunlich häufig – kaufen Kunden Produkte trotz der vorherrschenden Kommunikation.“

Und der Workshop förderte eine weitere wichtige und ernüchternde Wahrheit ans Licht: Die als Problem erkannten Strukturen und Prozesse würden auf Sicht nicht fundamental verändert werden können. Da war das anwesende mittlere Management wenig optimistisch. Obendrein sollten die bei meinem Auftraggeber bestellten Ideen kurzfristig greifen und die bestehenden Kapazitäten und Budgets berücksichtigen. Spätestens jetzt war uns klar, dass das alles andere als eine leichte Übung werden würde.

Der Audit

Nachdem wir die umfangreichen Informationen aus dem Workshop sortiert und sich die Erkenntnisse etwas gesetzt hatten, machten wir uns an die Arbeit. Wir führten einen Audit durch, der aus mehreren Komponenten bestand. Zum einen beurteilten wir die zentralen Kanäle und Maßnahmen mit dem Auge des Experten. Zum anderen entschieden wir spontan, unsere Eindrücke mit den Ergebnissen einer kleinen Befragung abzugleichen. Dafür interviewten wir ein halbes Dutzend Kunden zu ihren Erfahrungen mit der Kommunikation der Marke.

Auf Basis der beiden kombinierten Quellen formulierten wir konkrete Handlungsempfehlungen aus Kundensicht, die wir in Quick Wins und aufwendigere Anpassungen gliederten. Wir recherchierten Benchmarks, die den Status und unsere Empfehlungen ins Verhältnis zum Wettbewerb setzten. Und wir entwickelten prototypische Customer Journeys, die den Sinn und Zweck dieses kundenzentrierten Markenerlebnisses in Form einer Reise möglichst praxistauglich vermitteln sollten.

Gute Reise: Eine klug geplante Customer Journey sorgt für eine positive und wirkungsvolle Markenwahrnehmung beim Kunden.

Gute Reise: Eine klug geplante Customer Journey sorgt für eine positive und wirkungsvolle Markenwahrnehmung beim Kunden.

Unsere Empfehlungen

Mit wem genau unterhaltet ihr euch und was bewegt diese Gesprächspartner? Unsere erste Empfehlung war es, genau diese Frage detailliert zu beleuchten. Zwar gab es Zielgruppenprofile. Diese kategorisierten die Adressaten aber aus der Sicht des Produktzyklus. Unsere Botschaft: Wechselt die Perspektive und entwickelt Personas. Schafft individuelle Gesprächspartner für die Contenterstellung und beschäftigt euch konsequent mit deren Bedürfnissen. Wenn ihr diesen Kommunikationsstil lebt, ist das ein entscheidender Schritt auf dem Weg, von euren Adressaten als glaubwürdigerer Kundenversteher und relevantere Marke wahrgenommen zu werden.

Plant die Kommunikationsanlässe mit euren Kunden als ein nützliches und emotionales Erlebnis, als eine Customer Journey, auf der ihr als kompetenter, unaufdringlicher und zuverlässiger Begleiter auftretet – von der Orientierungsphase, über den Kauf bis zum Neukauf. Sicherlich besteht so eine Reise aus vorbereiteten Maßnahmen und Medien. Euer Portfolio aus Portalen, E-Mailings, Whitemailings, Newslettern oder Social-Media ist generell Branchenstandard. Stimmt aber den Ansprachezeitpunkt, Rhythmus und die Wahl des Touchpoints individueller auf den einzelnen Kunden ab.

Auch den Inhalt der jeweiligen Kommunikation gilt es so interessenorientiert wie möglich auszurichten und den maßgeschneiderten Mix aus redaktionellen Formaten und vertrieblicher Ansprache zu finden. Vernetzt die Kommunikation kanalübergreifend besser, schafft Querverweise und gebt euren Adressaten die Chance, in den Kanal ihrer Wahl zu wechseln. Generiert mehr Dialog und Interaktion.

Weil ihr aus der Innensicht kommuniziert, geraten eure Maßnahmen häufig schwer verständlich. Ihr solltet die Motivation eurer Kunden nicht überschätzen, die Kommunikation verstehen zu wollen. Wenn ihr euren Adressaten mit mehr Empathie begegnet, vermeidet ihr Missverständnisse und erreicht die Kunden wirkungsvoller.

Von der Theorie zur Praxis

Uns war klar, dass wir den Kunden mit diesen theoretischen Empfehlungen nicht allein lassen konnten. Wir hatten deshalb folgende praktische Lösung im Gepäck: Fragt eure Adressaten direkt, wie sie die Kundenbetreuung erleben. Dafür bieten wir euch an, die wichtigsten Customer Journeys auszuarbeiten. Im Anschluss identifizieren wir gemeinsam einige wenige Leuchtturmprojekte innerhalb dieser Kundenreisen. Darunter verstehen wir zentrale Maßnahmen, die möglichst viele Lerneffekte auch für die anderen Touchpoints der Journeys liefern können. Von diesen Leuchttürmen entwickeln wir testfähige Entwürfe, die unsere Optimierungsempfehlungen berücksichtigen. Mit diesen Prototypen werden wir dann eine qualitative User Research durchführen. Zukünftig sollten solche Befragungen fester Bestandteil der Planung und Entwicklung eurer Kundenbetreuung sein.

So schafft ihr eine belastbare Basis für die nächsten Schritte. Ihr wisst dann, was eure Kunden im Bezug auf Markenerlebnis, Ansprache und Dialog von euch erwarten. Außerdem unterstützen euch die Erkenntnisse dabei, interne Widerstände zu überwinden. Diese klar artikulierten Nutzerbedürfnisse holen eingefahrene Diskussionen von der subjektiven Geschmacksebene herunter. Beispielsweise gegenüber den Kollegen vom Corporate Design, die Vorgaben zu machen scheinen, die sich in mancherlei Hinsicht als nicht praxistauglich erweisen.

Mit eurem neu gewonnenen wissen, könnt ihr jeden einzelnen Touchpoint sorgfältig inszenieren und die Abfolge der Erlebnisse wirkungsvoll orchestrieren. Zumindest in der Theorie. Damit das auch in der Praxis ankommt, müsst ihr aber eure Silos verlassen. Wir haben verstanden, dass die Strukturen hartnäckig sind. Keine Sorge, uns geht es nicht darum zur Revolution anzustiften. Wir wollen euch von einer konstruktiven Evolution überzeugen. Vielleicht kann unser Vorschlag „Bottom up“ etwas an den hinderlichen Strukturen und Prozessen verändern:

Der Workshop war für euch ein Aha-Effekt. Da fand ein richtiger abteilungsübergreifender Austausch statt – wirklich sehr spannend. Egal, ob sich die Strukturen auf Sicht verändern lassen oder alles bleibt wie gehabt: Ein solches Format einzuführen und euch in diesem Rahmen auszutauschen, halten wir für realistisch und notwendig. Trommelt alle Stakeholder turnusmäßig vor euren großformatig gedruckten Customer Journeys zusammen und diskutiert Ideen und Maßnahmen. Das funktioniert übrigens auch mit crossmedialen Themenplänen, wenn es um die inhaltliche Detailarbeit geht.

„Man sollte nicht auf das eigene Marketing hereinfallen. Da mutiert dann der Wunsch zur Wirklichkeit – und das erlebe ich erstaunlich oft.“

Last but not least: Entwickelt klare Kriterien und Ziele zur Planung der Umsetzung genauso wie zur Beurteilung der Ergebnisse eurer Agenturen. Gebt euren Partnern die Chance, das ganze Bild zu sehen – auch wenn sie nur Teilbereiche bearbeiten. Wenn eure externen Experten die Anforderungen kennen und den Kontext verstehen, wirkt sich das positiv auf die Qualität der einzelnen Maßnahmen und auf das gesamte Kundenerlebnis aus.

Fazit

Ketzerisch gesprochen: Letztendlich – und erstaunlich häufig – kaufen Kunden Produkte trotz der vorherrschenden Kommunikation. Und dennoch: Letztlich ist eine funktionierende Kommunikation und hochwertiger Content für Unternehmen unverzichtbar.

Soll eine solche für Marke und Adressaten nutzbringende Kommunikation entstehen, sind messbare Ziele und ein klares Bild der Zielgruppen unverzichtbar. Auf die Gefahr hin, dass Sie es hier und andernorts schon oft gelesen haben: Es geht darum die Bedürfnisse der Adressaten in den Mittelpunkt zu stellen. Klingt einfach, erfordert aber viel Planung, Disziplin und Einfühlungsvermögen.

Unwillkürlich verfallen Unternehmen in den Modus, ihre Innensicht nach außen zu kehren. Das wird schnell unverständlich und irrelevant. Auch sollte man nicht auf das eigene Marketing hereinfallen. Da mutiert dann der Wunsch zur Wirklichkeit – und das erlebe ich erstaunlich oft. Mir hilft es, Inhalte als Ganzes und jedes Element für sich als Narrativ zu betrachten – ganz egal, ob es um Mailings, Newsletter, einzelne Textstücke oder komplette redaktionelle Medien geht. Um Geschichten erzählen zu können, muss ich mich in meine Leser hineinversetzen. Und das sorgt für verständliche und gleichzeitig emotionale Inhalte.

 

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