Buchtipp: RheinRevue

 
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Eine poetische Fotoreise

Vor kurzem bekam ich ein Päckchen von der Berliner Fotografin Christiane Haid. Darin befand sich ihr außergewöhnliches Fotobuch „RheinRevue“. Das Leporelloformat führt mich mit rund siebzig Polaroids entlang des Rheins von der Quelle in der Schweiz bis zur Mündung in Holland. [von Susanne Wagner]

Reduktion als Stärke

Der Fluss als Erzähllinie, als roter Faden in der Geschichte: Christiane Haid vertraut ihrer starken Idee und folgt ihr konsequent von der Fotografie, der Wahl des Formats und der Gestaltung bis hin zur technischen Umsetzung.

Wenn ich die „RheinRevue“ aufklappe, stimmen mich assoziative Schlagworte und ein kleiner poetischer Text auf die Reise entlang des Stroms ein. Die reduzierte Gestaltung gibt den sensiblen Bildern die nötige Luft zum Atmen.

Sich die Zeit nehmen

Christiane Haid beweist Mut zur Stille: Sie erzählt in ruhigen Bildern von flüchtigen Momenten am Rhein. Aus 115 Polaroids fanden 71 ihren Platz in der „RheinRevue“. Die Fotografin hat sich für dieses Projekt bewusst die Zeit gelassen, um die Ruhe und ihre sehr persönliche Beziehung zum Fluss in die Bilder und schließlich ins Buch zu übertragen. Die ersten Fotos entstanden im Frühjahr 2007 etwa in der Mitte des Rheins, in Eltville und Heidenfahrt bei Wiesbaden. Das letzte Foto nahm Christiane Haid in Hoek van Holland im Oktober 2011 auf.

Realisierung einer Idee

Der Weg in den Buchhandel war lang. Kein Wunder, das Projekt ist sicher kein Verlegertraum: Das ungewöhnliche und kostspielige Leporelloformat der „RheinRevue“ misst ausgebreitet etwa zwölf Meter. Außerdem bedient der persönliche Blick der Autorin auf das Thema alles andere als den Mainstream. Der Leser muss sich auf das Buch einlassen, sich einfühlen in die Welt dieser subtilen Bilder. Die Ruhe zulassen und nach Zwischentönen suchen.

Folglich gibt Christiane Haid „RheinRevue“ selbst heraus. Dank einiger aufgeschlossener Buchhändler und auch Dank der digitalen Medien, ist es heute möglich, auch ungewöhnliche Bücher oder Spartenprodukte bekannt zu machen. Dazu trage ich in unserem Blog sehr gerne bei.

Und weil es sehr interessant ist, was unter der Oberfläche von „RheinRevue“ liegt, habe ich Christiane Haid zu einem Interview eingeladen.

Flach ausgebreitet ist die „Rhein-Revue“ etwa zwölf Meter lang.

Flach ausgebreitet ist die „Rhein-Revue“ etwa zwölf Meter lang.

Wie kamen Sie auf das Thema?

Christiane Haid: Ich habe eine Zeit lang in Wiesbaden gelebt. Da gehört der Ausflug an den Rhein und in den Rheingau unbedingt dazu. Ich saß also eines Tages am Ufer in Eltville und blickte auf den Rhein. Von meiner Position aus gab es ein Davor und ein Danach. Eine Reflexion über die Zeit im Moment. Der Fluss zog vorbei. Fließgeschwindigkeit im Denken. Dieser Anblick und der Gedanke an die Vergänglichkeit bewegten mich. Und meine Neugier, dem Wasser zu folgen, war geweckt. Ich wollte sehen, was bleibt.

Wann haben Sie beschlossen, dass die Einzelbilder zu einer Geschichte werden sollen?

CH: Die Idee für das Leporello-Buch entstand recht früh. Ich fand den Gedanken spannend, dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, den Fluss in seiner gesamten Länge anschauen zu können. Von der Quelle in Graubünden bis zur Mündung in Hoek van Holland – Anfang bis Ende. Ich war fasziniert von seiner Unterschiedlichkeit, der Umgebung und seinem Lauf durch die angrenzenden Länder. Die meisten Orte habe ich auf den Wanderungen und Fahrten entlang des Ufers entdeckt, teilweise auch auf sehr unzugänglichem Gelände.

„Mit jedem Foto verlängert sich der Fluss und gleichzeitig schwindet das Filmmaterial.“

Warum haben Sie sich stilistisch für Polaroid entschieden?

CH: Heutzutage ist das schlagende Argument für digitale Fotografie die detailgetreue Abbildung und die außergewöhnliche Schärfe. Da dem Projekt aber ein emotionaler Gedanke zugrunde liegt, entschied ich mich für die Polaroidkamera. Den langen, großen, mächtigen Fluss mit einer kleinen simplen Sofortbildkamera darzustellen, ist ein reizvoller Kontrast. Es gibt das gefühlte Größenverhältnis Mensch zu Natur gut wieder. Das feststehende Format setzt den Rahmen, das Ufer wird immer gleich aufgefasst. Die bewusste Reduktion durch die Wahl des Aufnahmeformats ist ein wichtiger Impuls und unterstützt den Gedanken des unwiederbringlichen Moments in der Fotografie sowie im Leben. Außerdem hat das Polaroidmaterial eine ganz eigene Ästhetik. Es reagiert zum Beispiel auf Kälte mit Farbverschiebungen und hat eine feine Unschärfe, die der menschlichen Erinnerung an einen Ort ähnelt.

Sie haben also mit analogem Filmmaterial fotografiert, das so nicht mehr hergestellt wird. Hatten Sie zwischendurch Sorge, dass Ihnen das Material ausgehen könnte?

CH: Ich hatte noch einiges an Polaroidmaterial gelagert und besorgte mir über das Internet noch ein paar abgelaufene Packungen zu einem völlig überteuerten Preis. Damit war die endgültige Anzahl der Aufnahmen festgelegt. Da ich aber nicht wusste, welche Motive und Situationen mich im Verlauf des Flusses noch erwarten würden, musste ich mich intuitiv ganz in den Moment fallen lassen. Kostbare Augenblicke. Mit jedem Foto wächst der Fluss und schwindet meine Reserve. Es gab also einen Anfang und ein Ende im doppelten Sinne. Leichtes Reisegepäck fand ich natürlich auch gut.

Welche besonderen Situationen sind Ihnen von Ihrer Rhein-Reise im Gedächtnis geblieben?

CH: Schön war überhaupt das Reisen am Wasser entlang und immer wieder aufs Neue spannende Perspektiven zu entdecken. Verbunden mit der Freude am Wachsen des Flusses sowie der Neugier, wie es weiter geht. Konkret fallen mir zwei Erlebnisse ein: Nach der Aufnahme in Rheinau bei Mannheim habe ich eine Tasche mit Material im Gras liegen lassen. Das stellte ich allerdings erst einige Kilometer weiter beim nächsten Motiv fest. Also zurück in die andere Richtung und glücklicherweise war meine Tasche noch da. Ein interessanter Fund am Rheinufer war ein altes Buch über Umgangsformen, aus dem ich Auszüge in die „RheinRevue“ integriert habe. Ein Ratgeber, der einen Einblick in vergangene Zeiten gibt – außerdem eine amüsante Reiselektüre.

„Mit der Reise den Strom entlang entstand dieses fließende Porträt, durch die Regionen und die Jahreszeiten.“

Inwieweit hat das Projekt Ihren Blick auf den Rhein verändert?

CH: Der Rhein in seiner Umgebung ist mir vertraut geworden und ich habe das Gefühl, wir haben etwas miteinander geteilt. Ich fand den ganzen Prozess von der Entstehung der Fotos über die Umsetzung bis zum fertigen Buch sehr spannend und freue mich über das tolle Feedback. Die „RheinRevue“ findet ihren Weg zurück und liegt an ausgewählten Orten entlang des Rheins zum Verkauf aus. Es fühlt sich an wie ein Kreislauf. Mit dem letzten Polaroid hat der Fluss seine Mündung erreicht, ist weg und bleibt.

Christiane Haid, geboren 1971 in Ravensburg, lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin.
www.christianehaid.de


RheinRevue

Fotografin, Autorin, Herausgeberin: Christiane Haid
Gestaltung und Beratung: Ulrich PohlGerald Geffert
Druck: Ruksaldruck, Berlin
Format 16 x 21 cm, Doppel-Leporello, Naturpapier
80 Seiten, 71 Polaroid Fotografien
Auflage 250 Stück, August 2018, Berlin
ISBN 978-3-00-060172-9
38,– Euro
www.rheinrevue.de

Sie können „RheinRevue“ direkt bei Christiane Haid bestellen: hello@christianehaid.de

Außerdem ist das Buch an ausgewählten Orten entlang des Rheins erhältlich, unter anderem bei Homburger & Hepp Konstanz, Wunderfitz Konstanz, Buchladen am Rathausplatz Stein am RheinFotomuseum WinterthurKunsthalle BaselFondation BeyelerSchönSchräg MainzWeingut Baron Knyphausen EltvilleBuchhandlung Walther KönigBücherbogen Berlin und im C/O Berlin.

 

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